„Du weißt, wer du bist, bis du deiner Erinnerung begegnest“ – intensives Kammerspiel DAS HOTELZIMMER von Rudi Gaul neu im Drei Masken Verlag

Ein Hotelzimmer, eine Nacht, ein Interview: Ein erfolgloser Dokumentarfilmer interviewt eine erfolgreiche Autorin. Und behauptet, vor über zehn Jahren mit ihr an einem folgenschweren Unfall beteiligt gewesen zu sein. Die Frau kann sich nicht erinnern – und lässt sich auf ein gefährliches Frage- und Antwort-Spiel um Begehren und Identität ein. Haben beide ihr Leben auf einem Verbrechen aufgebaut, an das sie ganz unterschiedliche Erinnerungen haben? Je länger die Interview-Nacht dauert, desto ununterscheidbarer werden Lüge und Wahrheit, desto stärker gerät der Boden ihrer sicher geglaubten Lebenswirklichkeiten ins Wanken. Der Film DAS HOTELZIMMER ist ein Kammerspiel über die Macht des Erzählens und über Identität: wie sie entsteht – und wie sie sich wieder auflöst. Er eignet sich hervorragend für eine Bühnenadaption.

Wie werden wir zu denjenigen, die wir sind? Durch die Summe unserer Erfahrungen? Durch unsere Erinnerungen? Oder durch den Blick der anderen auf uns? Was geschieht aber, wenn dieser Blick der anderen unsere Erinnerung fundamental in Frage stellt? Und: Ist nicht jede Erinnerung nur eine Geschichte, eine Erzählung, die unsere Phantasie aus unzusammenhängenden Ereignissen konstruiert, damit wir weiterleben können? Wenn jede Erinnerung nur eine Geschichte ist, die wir uns wieder und wieder erzählen – wie lassen sich dann Wahrheit und Lüge noch voneinander unterscheiden? Wie viele Geschichten, wie viele verschiedene Wahrheiten lassen sich mit denselben Erinnerungsfragmenten erzählen? DAS HOTELZIMMER erzählt von diesen Fragen mit reduzierten Mitteln. So wie Agnes und Lukas bekommt auch der Zuschauer kein Außen zu sehen, keine objektive Perspektive auf das, was war. Es bleibt nur das Gegenüber als Spiegel für den eigenen und doch so fremden Blick auf sich selbst: ein Gegenüber, das die eigene Lebensgeschichte in Frage stellt. Und damit die Grundfesten der Identität. Rudi Gaul ist mit seinem Werk im Stil des Film Noir ein packender, raffinierter und spannungsgeladener Dialog zweier komplexer und vielschichtiger Protagonisten gelungen. Das Drehbuch steht für eine eigenständige Theaterfassung zur Verfügung.