Eine düstere Utopie zum Thema Privatsphäre - PHOKIPHON von Sergej Neldichen

NSA-Sammelwut, Facebook und Google – der Schritt zur Totalüberwachung scheint heute erschreckend klein. PHOKIPHON , ein Klassiker des russischen absurden Theaters (4 D | 11 H) nimmt sich genau dieser Thematik an: Eine düstere Utopie, wiederentdeckt und erstmalig ins Deutsche übersetzt von Bulgakow-Übersetzer Alexander Nitzberg - frei zur UA.

Als der Fremde Abe aus Cede in der Stadt auftaucht, sucht er nur eines: die Wahrheit von der Falschheit zu unterscheiden – und vertraut sich blind der Objektivität einer Fotokamera an. Wahrheit sei die Fotografie eines Ereignisses, glaubt er. Doch schon bald muss er realisieren, dass in einer Gesellschaftsordnung, in der jeder jeden beschattet, Wahrheit und Falschheit nur schillernde, ja dubiose Begriffe sind. Am Ende steht die Erfindung des Phokiphons – eines gigantischen Apparats, der die Totalüberwachung ermöglicht. Skurrile Gestalten, Aroma-Schnüffler, Gammelfleisch-Verkäufer und Sexbesessene sind die Handlungsträger in diesem wiederentdeckten düsteren Klassiker des russischen absurden Theaters. Sergej Neldichen (1891-1942) ist ein spektakulärer Sonderling der russischen Moderne. Trotz seiner Teilnahme an der traditionsbewußten Dichterzeche (zu der auch Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa gehörten), gelang es ihm, eine vollkommen eigenständige literarische Richtung zu begründen, die sich durch hohe Plastizität, entwaffnende Direktheit und erotische Verspieltheit auszeichnet. Als »Apostel der Dummheit« (Nikolaj Gumiljow) oder »der russische Walt Whitman« führte er, seit dem Schreibverbot in den 1930er Jahren, ein legendenhaftes Schattendasein, bis sein Gesamtwerk vom Moskauer Lyriker Maxim Amelin wiederentdeckt und publiziert wurde. Der mehrfach verhaftete und schließlich im GULAG umgekommene Dichter darf als heimlicher Wegbereiter der Gruppe OBERIU (Daniil Charms, Alexander Wwedenski u. a.) betrachtet werden.

© Alexander Nitzberg